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©Stephan Bartel

Kulturgeschichte

Kleine Geschichte der Hannoverschen Köche

Eine seltsame Mär erzählte man sich im 16. Jahrhundert über die Köche. Man glaubte damals, daß die Kochkünstler nicht viel essen, aber gleichwohl nicht mager aussehen würden. Man fragte sich, ob sie vom Geruch der Speisen lebten? Die Köche, „welche stets vor dem Feuer stehen, trincken offt und essen wenig". Die Dämpfe der Speisen, die mit der Luft eingesogen werden, würden den Appetit nicht fördern, sondern brächten eher eine Abstumpfung. Ein altes Sprichwort sagt:

„Wer Torten ißt den ganzen Tag - bald keine ferner essen mag".

So sei es nun mal mit den Köchen: Wird man ihnen etwas vorsetzen, was sie selbst nicht angerichtet haben „zum Exempel, ein Stück Lachs, so werden sie hurtig zugreifen und ohne Ekel essen“. Es sei ihnen subtil, die eigen Erzeugnisse zu verspeisen.

Meister Franz de Rontzier

Holzstich aus dem Misburger Kochbuch von 1598
Einer der ersten hannoverschen Neubürger aus dem Jahre 1593 aus Misburrg war ein Küchenmeister, der dort einen „Freihof“ bewirtschaftete. Vorher war er Mundkoch des Herzogs Erich von Braunschweig-Lüneburg und seines Nachfolgers Herzog Heinrich Julius. Es ist hier die Rede von dem „Meister Franz de Rontzier", der im Gefolge der Prinzessin Dorothea von Lothringen, die im Jahre 1576 Herzog Erich ehelichte, nach Norddeutschland kam. Vermutlich stammte er aus Nancy und war wohl am fürstlichen Hof in Lothringen als Koch beschäftigt gewesen. Seit jener Zeit lebte er in Misburg, Braunschweig und Hannover, verfaßte ein Buch und führte Försterdienste im Misburger Amt aus. Zum Dank für treue Dienste schenkte ihm sein Dienstherr den 30 Morgen großen „Freihof" in Misburg nebst den dazugehörigen Försterdiensten. Auch die Abgaben von drei Vollmeierhöfen flossen ihm zu.

Als bestallter braunschweigischer Mundkoch verfaßte er das Buch „Kunstbuch von mancherley Essen/Gesotten/Gebraten/von Hirschen/Vogelen/Wildtprat/und andern Schawessen /so auf Fürstlichen / und andern Banketten zuzurichten gehörich" für seinen Brotherrn Herzog Heinrich Julius (1564 - 1617). Es ist nicht auszuschließen, daß der „erbare und wohlerfahrene Meister Rontzier" auf seinem „Freihof" in Misburg das Buch mit „allerhandt furnehme und außbündige stücke" diktiert hat. Die Beschreibung seiner Rezepte sind knapp und klar und geben eine typische mittelalterliche deutsche Küche wieder. Zum Ehrgeiz der Küchenmeister im 16. Jahrhundert gehörte es, Grundanleitungen für Rezepte mit mehr oder minder großen Variationsmöglichkeiten anzubieten. Seine Variationen werden immer durch ein „Item" (ferner) eingeleitet. In seinen Rezepten paßt er sich weitgehend seiner neuen Heimat an.

Die Welfen

WOK im Welfensitz Marienburg. Entstanden bei einem Drehtermin 2023. ©Wok-Museum
Köche, deren Namen seit dem 16. Jahrhundert in hannoverschen Kopfsteuerbeschreibungen, Kirchenbüchern usw. genannt werden, waren zumeist am Hofe, bei Herrschaften, Generälen, Grafen, Baronen, Hofräten und Fürsten beschäftigt. Nur einige waren selbständig und führten eine Gastwirtschaft, Schänke, Schlachterei oder Brauerei. Die am herzoglichen, später am königlichen Hof zu Hannover beschäftigten Köche waren privilegiert und erhielten nach der Dienstzeit eine gute Pension. So war es nicht absonderlich, daß mehrere Generationen einer Kochdynastie am Welfenhof beschäftigt waren.

Gegen Ende des Dreißigjährigen Krieges zogen die Welfen von Celle nach Hannover und regierten von der Leine aus das Land. Fortan wurde die Stadt Hannover zur Haupt- und Rezidenzstadt. Aus dieser Zeit sind uns noch alte Folianten erhalten, die berichten, was Herren und Dienerschaft z.B. in der Pfingstwoche des Jahres 1647 verspeisten. In diesem Verzeichnis für den „Hannoverschen Hofstaat des Herzogs Johann Friedrich von Calenberg" werden die Speisen nach der Bedeutsamkeit der Tafelordnungen genannt. Nach der „Fürstliche Daffell" folgen ein „Neben Tisch", die „Junkern Daffell", der „Officirer Tisch", ein Tisch für „Altfrauwe und Mägde", der „Pagen Tisch", „Ein Tisch pfaltzgräfficher Stallherren und Gutsherren" sowie ein Tisch für „Jäger, Schmiede, Gutsherr Stall- und Jungkamerdienerschafft".

Bis zum Westfälischen Frieden am 24. Oktober 1648 vergingen noch einige Monate. Der erhaltene Speiseplan gibt Auskunft über die Kargheit der Speisen, hatten doch die fremden Heerscharen Deutschland in Schutt und Asche gelegt. In den Städten war alles Leben erstorben, ganze Häuserreihen lagen in Schutt und Asche. 1664 waren in Göttingen 290 Häuser noch nicht wiederaufgebaut. Berlin zählte 1650 nur 300 Bürger, in Northeim riß man 320 Häuser nieder, um Feuerung zu gewinnen.

Die Küchen an den Höfen wurden von einem Küchenmeister, der zu den Hofbeamten zählte, geleitet. Die Speisen wurden kernig und kräftig zubereitet. Mit dünnen Soßen und Suppen gab man sich nicht ab, sondern hielt sich an Fleisch und Fisch.

Die Speisen am hannoverschen Hof wurden unter der Aufsicht des königlichen „Mundkoch-Meisters" Nicolauß erstellt. Für alle gab es vorweg eine „Wein' suppen" oder „Specksuppen", dann gebratenen „Hasenrücken", gebratenen „Vogel", kleine Pasteten, Wildschweinschinken, gekochte junge Hühner, „Hirschwildtprädt", Kalbsbraten, gekochtes und geschmortes Rindfleisch, Kalbskopf, Schweinebraten, Ochsenklauen, Braunkohl oder Sauerkohl mit „Drögefleisch" und gefüllte „Lambsbrüste". Das Fischwerkangebot bestand aus: Zander, Stockfisch, „Ahle", „Carpen", frischem Lachs, „Cabbelau", Forelle, Scholle, Hering und Hecht. Die Fische wurden frisch und gesalzen verzehrt, und der „gepöckelte" Hering war ein schon damals weitverbreiteter Handelsartikel. Als Nachspeise reichte man am Sonntagabend „Pflaumen Buchen", Feigen- und Stachelbeertorte. Aus den Angaben über „Torten", Konfekte, Marzipane und Gebäcke, die damals auf keiner Tafel fehlen durften, wird deutlich, daß im 17. Jahrhundert der Koch auch gleichzeitig Konditor war. Für die Herren „Officirer" wurde öfters eine Schüssel mit „Saladt" aufgetischt.

Die Ära der Calenberger

Mit der Fertigstellung des Leineschlosses durch Herzog Georg von Calenberg im Dezember 1640 begann die Ara der Calenberger Herrscher in Hannover. Zumeist wohnten sie im ersten Obergeschoß und bezogen die Speisen der im Ostteil des Schlosses gelegenen Schloßküche. Alle Speisen wurden über die große doppelseitige Wendeltreppe befördert. Die Küchenstube lag ebenfalls im Erdgeschoß des westlichen Querflügels neben der Durchfahrt zum Inn' eren Schloßhof, die deswegen „Bogen vor der Küchenstuben" genannt wurde.

Unter Herzog Johann Friedrich von Calenberg (Regierungszeit: 1665 - 1679) hatte das Leineschloß an Wohnlichkeit und künstlerischer Ausstattung gewonnen. Das älteste Schloßinventarverzeichnis stammt von August 1669 und gibt den Zustand der damaligen Räume des Schlosses an. Unter dem Hofpersonal werden auch die Köche genannt, die im Schosse logierten.

Zum Wirtschaftsbereich gehörten folgende Räume: deutsche und französische Küche, Backkammer, Küchenstube, Wein- und Bierkeller, Brauhaus, Silber- und Zinnkammer, Ah- und Unterhaus, Schneiderei.

Dem Inventarverzeichnis ist zu entnehmen, daß die Bestecke und das Geschirr mehr aus Zinn und weniger aus Silber bestanden. Die Zahl der Personen, die im Schloß übernachten konnten, ergab sich aus den 66 inventarisierten Bettstellen. Fremdartige Buntheit ins Hofleben brachten nicht nur die Künstler und der italienische Lebensstil, nein, vor allem war es die französische Küche. 1677 wurden das Schloß und die Schloßküche vollendet, und darauf „wurde ein Broyhan getrunken!"

Der Berufsstand der Köche

Der Garkoch

In Hannover gehörten die Köche nach der Kleiderordnung von 1651, die für die sechs Stände galt, als „Garköche" zu den Handwerksgesellen. In diesem fünften Stand befanden sich noch Zimmerleute und Maurer. Weinschänker, Bäcker, Schmiede, Schuhmacher und Knochenhauer bildeten die „großen Ämter", die zum dritten Stand zählten. Somit ist erwiesen, daß es in Hannover den Berufsstand „Koch" schon früher gab. Sicher waren das Köche, die, wie der Name schon sagt, für eine große Gesellschaft etwas „gar" kochten. Für diese schwere Arbeit waren weniger die „Haushaltungsfrauen" als die Männer geeignet.

Ein recht nettes Bild von den Köchen seiner Zeit entwirft Paul Jacob Marperger in seinem Buche „Vollständiges Küch- und Keller-Dictionarium", Hamburg 1716. Er nennt die „Gnathones culinarii und beräucherte Küchen-Ratzen" ehrvolle und fleißige, absolute und souveräne Herren und Meister über Töpfe, Pfannen, Löffel und Kessel. Er bezeichnet sie als „Medici" und Apotheker, weil ihre Speisen für Gesunde und Kranke wohltuend seien. An den Werktagen gehen sie mit aller Gebühr in ledern, schmutzigen und nach dem „Besten-Fett" riechenden Kleidern daher und verrichten ihr „Ampt" in aller Herrlichkeit. Sie arbeiten immerfort und können „den ganzen Tag mit Fressen und Saufen aushalten". Ihre Zeit ist eingeteilt mit Sieden, Braten und Backen, Versuchen, Lecken, Schäumen, Feuerschüren und wenn die Zeit kommt, mit Anrichten. Man gesteht ihnen auch eine Passion zu: „...denn bisweilen beisset sie der Rauch in den Augen, bisweilen springt ihnen ein Funke ins Gesicht, bisweilen schütten sie sich selbst ein warmes Brühlein in die Schuh, davon sie gar artig tantzen lernen". Der Ort ihrer Tätigkeit ist die Küche, die nicht allein ihr „Raht-Haus, sondern auch gleichsam ihr Himmel ist". Sie sind Philosophen und diskutieren „...von der Kraft der süßen, sauren, harten, gesalzenen und ungesaltzenen, und auch lieblichen Speisen." Wenn sie sich „satt gefressen und gesoffen haben", hörten sie sich gerne singen. „Dass ihnen der Kopf wehe ruht vom Saufen, der Bauch strotzet von Fressen, ist nichts neues, sondern gleichsam ihr täglich Brod".

Der Küchenmeister

Ein guter Leibkoch war für die Herrschaft nicht weniger wichtig als ein kundiger Leibarzt, denn jener mußte, gestützt auf sein Wissen, ein geschmackvolles, gesundheitsförderndes Essen zubereiten. Häufig wurde er dafür reichlich belohnt. Fiel er aufgrund schlechter Leistungen in Ungnade, drohte ihm Strafe oder gar Entlassung, vor allem dann, wenn er Betrug und „Verschleppung" in der Küche nicht zu unterbinden wußte. Somit war ein Koch, der mit den Speisen in der Küche umgehen konnte und durch Gewürze und Zubereitung einen guten Geschmack erzielte, sehr gefragt. So beschreibt 1604 der Churfürstliche Mainzer Mundkoch Marx Rumpolt in seinem „Ein new Kochbuch" den idealen Küchenmeister wie folgt: Er soll „morgens auf das aller früste auffheben, wacker, lustig, arbeitsam, unverdroßen, fein sauber, sittsam und reiniglich sein". Dem Einkäufer soll er sich unterordnen und von ihm anleiten lassen. Er soll schreiben, lesen und rechnen können und immer sauber gekleidet sein. Es werden ihm auch „kräftige Wörtlein" zugestanden, wenn er über die Kleidung der Hofmeister und Unarten seiner Berufskollegen wettert. Er nennt sie „Hofaffen" und „Narren" und beschwert sich über ihren nur halb bedeckten „Arß". Ferner schreibt er, der Mundkoch soll sein ehrlich, aufrichtig, treu, gesund, sauber und fleißig. Ihm wird empfohlen, weiße Tücher, saubere „Hämmer" und Kleider zu tragen. Der Bart und die Haare sollen zierlich „abgekürzet" und „abgekolbet seyn". Er soll schreiben, lesen und rechnen können und immer sauber gekleidet sein. Er soll den Geschmack seines Herrn ablauschen und die Stunde, wenn dieser zu essen wünscht, genau einhalten. Wenn er seinem Herrn das Essen bringt, soll er feine, weiße und nicht schwarze, schmutzige oder schäbige Hände haben. Und weil das Wohlergehen der Herrschaften nicht wenig von ihren Köchen abhängt, so ist es vonnöten, daß die Köche von Jugend an, von vierzehn und fünfzehn Jahren, in dieser Kunst unterrichtet werden. Weiter solle ein Küchenmeister nicht ein dahergelaufener Offizier und Diener sein. Sein Vorleben und sein Elternhaus sind ausgiebig zu erforschen. Zum Schluß spricht Rumpolt den Wunsch aus, daß der Herr des Hauses seinen Haus- und Küchenmeister gut behandeln soll, so daß ihm nichts anderes in den Sinn kommen könne, als gute Speise für ihn zuzubereiten.

Küchenmeister kamen im allgemeinen durch königlichen Erlaß zu diesem Titel. So wurde z. B. der Koch Paul Würfel von Seiner Königlichen Hoheit Friedrich Leopold von Preußen 1898 zum Küchenmeister ernannt .

Küchenmeister waren seit jeher meist weitgereiste Menschen, die in der ganzen Welt zu Hause waren. So behauptete Marx Rumpolt von sich 1581, seine Profession in Italien, Rußland, Preußen, Polen, Ungarn, Böhmen, Österreich, in den Niederlanden und in „Teitschlandt“ erlernt zu haben. Er war gebürtiger Ungar, mußte mit seinen Eltern wegen des „Erbfeindt der Türck(en)“ seine Heimat verlassen.

Für die Neuzeit ist der Februar 1935 mit 89 Jahren verstorben Auguste Escoffier zu nennen, der sein Berufsleben in Deutschland, England, in der Schweiz und in seinem Heimatland Frankreich verbrachte.

Text aus "100 jährige Geschichte der Hannoverschen Köche von 1891 e.V.".
Wir danken Herrn Hans Joachim Große Gorgemann, Hannover 1991
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